Farlin – Häppchen

Heute habe ich den Romananfang von Farlin für Dich:


Es regnete, als wollte das Wasser aus schiefergrauen Wolken das Tal vor der Höhle in eine Seenlandschaft verwandeln. Schwere, kalte Tropfen prasselten mit solcher Wucht auf den aufgeweichten Boden, dass jeder Einschlag Morast aufspritzen ließ.

Tiva kauerte am Höhleneingang, wo jeder eisige Tropfen wie ein Wespenstich auf ihrer Haut brannte. Sie starrte nach draußen. Doch trotz herabstürzender Wasserfluten konnte sie die reglose Gestalt des Mannes im Regen immer noch ausmachen.

Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, wie lange der Mann da schon lag. Die Welt außerhalb der Höhle war grau, neblig und sehr nass. Eine Stunde? So lange schon? Drei, vier Stunden? So kurz erst?

Sie wusste nicht, ob er tot war. Sie hoffte es. Falls er wirklich der war, für den sie ihn einen schrecklichen Augenblick lang gehalten hatte, konnte sie nur beten, dass er tot war.

Der Regen hatte das Blut von seiner Rüstung und aus seinen Haaren gewaschen.

Vielleicht sollte sie nachsehen, um sicher zu gehen, ob er es wirklich und tatsächlich tot war.

Aber sie umklammerte nur ihr Bündel und drückte sich fest gegen die kalte, raue Wand der Höhle, während wenige Schritte von ihr entfernt Regen auf die Erde donnerte, als wollte er die ganze Welt überschwemmen und in ein ewiges Meer verwandeln.

Die Haare des Mannes schimmerten wie Gold. Verdammt, er war es bestimmt!

Aber vielleicht hatte er noch Gegenstände bei sich, die ihr nützen konnten? Die Soldaten hatten ihn lediglich zu Boden gestreckt, während Tiva sich furchtsam in der Höhle versteckt hatte. Sie hatten ihn nicht durchsucht. Vielleicht trug er Gold bei sich – oder zumindest eine Waffe, die Tiva gebrauchen konnte? Der lange Mantel würde sie wärmen, wenn sie ihn erst getrocknet hatte.

Sie atmete tief durch, legte ihr Bündel zu Boden und stemmte sich mühsam auf die Beine, atmete in raschen, flachen Zügen und trat zögernd vor.

Der Regen schlug sie beinahe nieder. Nach nur zwei Schritten auf durchweichtem Boden war sie bis auf die Haut durchnässt.

So schnell es ihr möglich war, eilte sie zu dem flachen Stein, auf dem der Mann bäuchlings lag – wie auf einem Opferstein, dachte sie benommen.

Sie konnte sich nicht über ihn beugen, um seinen Atemzügen zu lauschen, also lehnte sie sich nur leicht vor und ging ein wenig in die Knie. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, klatschnasse, blonde Haarsträhnen aus seinem Gesicht zu streichen. Dunkle Augenbrauen, schwarze Wimpern, zwischen denen Weiß schimmerte.

Tiva atmete schmerzhaft tief ein. Ihre Hand zuckte zurück, als hätte sie sich an der Schläfe des Mannes verbrannt.

Er war es!