Oder: Hilfe, meine Geschichte klemmt!
Aufgrund einer Twitteranregung von Christina Schuhmann habe ich mal wieder laut gedacht:
Vorweg: Ich meine die kleinen Sackgassen, die einfach unterwegs auftauchen und Probleme mindestens auf der Höhe des Mount Everest vor dem Schreibenden auftürmen. Keine Rechercheprobleme (Ab wann gab es Streichhölzer? Können Pferde vier Stunden lang am Stück galoppieren? Nicht? Aber in den Westernfilmen …) oder ausgewachsene Plotfehler, wenn schon die Ausgangslage einen Denkfehler enthält, der die ganze Geschichte wie ein Kartenhaus zusammenplumpsen lässt.
Im aktuellen Projekt musste ich eine Nebenfigur umbringen, deren Hilfe ich eigentlich weiter hinten hätte gut gebrauchen können. Eigentlich, weil die Hauptfigur das auch gut alleine schaffen sollte. Leider ergaben sich vier kleine Probleme dabei, wie die Hauptfigur sich gewisse Materialien beschaffen sollte. Kleinkram, der aber ein wenig Gehirnschmalz benötigte.
Ich vertrete die These, dass es mindestens so viele Wege des Schreibens gibt wie Schreibende.
Einer plottet dezidiert jedes Detail durch, macht die Recherche ordnungsliebend vor dem ersten Wort im neuen Manuskript und überlässt nicht das kleinste Fitzelchen dem Zufall.
Jemand anderes sucht sich einen roten Faden, markiert auf der Landkarte der Geschichte die Hauptstraße, sucht vorerst nur die wichtigsten Recherchepunkte heraus und nimmt dann beim Schreiben bevorzugt einen Pfad über Seitengassen und Feldwege. Auftauchende Recherchelöcher werden unterwegs geschlossen.
Ich stehe am Anfang nur mit einer Ausgangslage und meinem Heldenpaar da. Ich kenne das gewünschte Ende. Ein wenig, als ob ich auf einem Berg A (Ausgangslage) stehe und über ein nebeldampfendes Tal zu Berg Z (Ziel) gucke. Und dann stürze ich mich ins Getümmel, weiche Schlammlöchern aus, überquere Brücken über tiefe Schluchten, aus denen Wasserdampf empor quillt, finde mich in einem Urwald wieder und renne die ganze Zeit hinter meinem Heldenpaar her und schreibe wie wild, bevor die beiden mir weglaufen können.
Das ist meine Art zu schreiben, weil sie mir spannend erscheint und mir keine aufregenden Details wegnimmt.
Aber egal, welcher Weg beschritten wird, es können die fiesen kleinen Problemchen auftauchen, die weder sorgfältige Planung noch Mal-gucken-was-passiert-Schreiber ganz vermeiden können. Und dann?
Was kann das alles sein? Plötzliche Namensfindungsstörungen: Wie nennt sich die Bande, die im Wald haust und Reisende überfällt? Wie glaubwürdig ist Szene A? Kann sich die alte Frau in Szene B verstecken? Wie kann Figur A zu Figur B Kontakt aufnehmen, ohne dass die halbe Stadt das mitkriegt? Wo kann ich etwas verstecken, damit es zwanzig Jahre unentdeckt bleibt, der Erbe es aber beim Besuch im Haus sofort findet? Lustige Erfindungen für Wasauchimmer-Punk als nette Randerscheinung der Geschichte. Und so weiter.
So wie es zahllose Wege des Schreibens gibt, gibt es bestimmt auch ebenso viele Wege, mit klemmenden Geschichten fertigzuwerden.
1. Deus ex machina: Begriff aus dem Theaterspiel, wenn in der vertracktesten Lage einfach ein Gott von der Decke schwebte und mit einem Winken und einem Lächeln alles einrenkte. Die uneleganteste Lösung, und so taucht auch oft die Frage auf: Wenn ich das so und so mache, ist das dann ein DEM? Wollen wir vermeiden!
2. Grübeln im stillen Kämmerlein: Geschichte verfluchen, Dokument schließen, Computer herunterfahren und den Rest des Tages mit dem Durchexerzieren diverser Lösungsmöglichkeiten verbringen. Kann frustrieren. Die Lösung kommt meistens ohnehin erst im Bett kurz vor dem Einschlafen. Oder in einem halben Jahr.
3. Forenarbeit: Wir sind ja inzwischen alle irgendwie miteinander vernetzt. Warum also nicht die Forengemeinschaft um Hilfe bitten? Auf eine Fragestellung (ja, diese klar zu formulieren und auch wirklich den gesamten Hintergrund und alle Hindernisse anzugeben, ist eine Kunst. Schaffe ich auch nicht immer.) kommen alle möglichen Antworten. Lustige, traurige, Volltrefferantworten und welche, die weit übers Ziel hinausschießen oder irgendwie gar nicht helfen. Ihnen allen gemein ist, dass jemand anderes sich mit meinem Problem beschäftigt hat und mir helfen will. Dankeschön! Manchmal kommt die „richtige“ Antwort gar nicht, aber die auflaufenden Rückmeldungen helfen dem Schreibenden, sein Problem von vielen Seiten zu sehen – und schwupps kommt die Lösung wie von ganz alleine.
4. Erzählen. Meine liebste Variante, zumal ich schwer telefonsüchtig bin, ich gebe es zu. Als ich so vor meinem Mount Everest stand und vor Ehrfurcht fast verging, rief ich eine Freundin an. Ich habe die ganze Geschichte erzählt, und während ich das tat, löste sich der Knoten mit einem Mal mit verschiedenen Möglichkeiten, die ich dann auch wieder erzählen konnte. So bekam ich eine direkte Rückmeldung zu meinen Lösungsvarianten, ob das gesamte Gebilde schlüssig wirkt. Oh, und außerdem haben wir sehr viel gelacht und eine Stunde lang Telefonspaß gehabt.
Wie löst Ihr solche Problemchen? Wie kriegt Ihr den Mount Everest klein?